das insekt

eine frau mit einem hund befindet sich im flur eines kellers und wartet. während sie wartet hat sie ein mulmiges gefühl, etwas ist an de situation, was ihren körper in alarm versetzt, sie spürt das aufkommen einer gefahr. unklar ist, ob außerhalb ihres gefühls eine reale gefahr existiert oder ob dieses gefühl nur aus ihr selbst heraus entsteht. wir wissen auch nicht, was in diesem moment eine reale von einer eingebildeten gefahr unterscheiden könnte. fakt ist jedoch: sie hat angst.

plötzlich öffnet sich eine der kellertüren im hinteren teil des flurs: es erscheinen zunächst der kopf, später der körper einer schwarzen frau. die weiße frau erschrickt, wir wissen nicht genau, warum. fakt ist jedoch: ihr erschrecken ist mit der hautfarbe der plötzlich auftauchenden anderen verbunden.

die schwarze frau ist schlank, groß - androgyner gestalt? - sie trägt ein bodenlanges kleid in eienm in zarten grüntönen gehaltenen blümchenmuster und ein passendes kopftuch. die schwarze frau bewegt sich langsam, beobachtend, auf die weiße frau im korridor zu.

sie beobachtet, wie der hund der weißen frau kläffend nach etwas springt: das etwas ist ein überdimensioniertes insekt. es summt und sieht aus wie eine wespe oder hornisse. der hund ist nervös, die weiße frau ist panisch. sie versucht, dem insekt auszuweichen, welches sie in aufgeschreckten bewegungen verfolgt. die schwarze frau beobachtet, wie sich die weiße frau zu boden wirft, das riesige insekt über sie hinwegsummt und sie dabei leicht am rücken berührt. die weiße frau denkt: vergewaltigung. wir wissen nicht, wie sie in dieser situation darauf kommt - ist es vielleicht ihre lage bäuchlings auf dem boden?

das insekt verschwindet von der bildfläche und langsam richtet die weiße frau sich wieder auf. sie wendet sich an die schwarze frau am anderen ende des korridors und stammelt ein paar holprige worte, die wohl ihre panik entschuldigen sollen. die schwarze frau reagiert abweisend. wir wissen nicht, wie groß ihre verletzung ist. fakt ist: sie lehnt jetzt jeden annäherungsversuch der weißen frau ab.

die weiße frau fragt sich, warum dies so ist. sie findet die folgenden gründe - in dieser reihenfolge: die schwarze frau hält ihr bedauern für heuchelei, oder die schwarze frau ist einfach genervt und womöglich auch mit anderen dingen beschäftigt, oder: die schwarze frau hat keine lust, sich mit dem schlechten gewissen einer weißen rassistin auseinanderzusetzen (ist sie das?). und dann denkt sie: "naja, in meinem fall wäre es aber doch verständlich, schließlich war der, der mich vergewaltigt hat, araber!"

wir wissen nicht, ob das der schwarzen frau verständlich wäre. fakt ist jedoch: die weiße frau hat die schwarze frau verletzt, die weiße frau hat den schwarzen menschen verletzt, die weiße frau hat ein recht auf ihre gefühle. fakt ist jedoch auch: die schwarze frau hat ein recht auf ihre gefühle, die schwarze frau hat die weiße frau nicht verletzt, und wir wissen nichts weiter über die schwarze frau, die in dieser geschichte nicht einmal zu wort gekommen ist.